Stanley Cup 2011 – der Traum wird zum Albtraum

Alles hatte gut angefangen. Die Vancouver “Canucks” spielten am 15.06.2011 in Boston gegen die lokale Hockeymannschaft “Bruins” um den begehrten Stanley Cup. Es war das Finale. Wer dieses Spiel gewinnt, gewinnt auch den Pokal. In den Straßen von Vancouver versammelten sich die Fans vor Großleinwänden. Die Bekannteste stand direkt vor dem Gebäude der staatlichen Rundfunkanstalt CBC auf der Georgia Street, die dafür gesperrt worden war. Es war ein schöner, sonniger Mittwoch, den die Fans frei genommen hatten. Viele rechneten nicht einmal mehr mit dem Sieg der Canucks, die das Glück in den letzten Spielen gegen die Bruins verlassen hatte. Zur Großleinwand gingen sie trotzdem, wegen des Volksfestcharakters, den Hockey-Events in Kanada haben. Die Kneipen waren von Granville Street bis Yaletown randvoll mit langen Schlangen vor der Tür. Am Eingang fand man regelmäßig ein Schild “Kapazität erreicht, bitte kommt später wieder”. So blieben die Straßen voller Menschen. Nach den Unruhen von 1994 hatte die Polizei Einsatzkräfte an allen strategisch wichtigen Orten positioniert.

Das Spiel verlief erwartungsgemäß schlecht. Die Canucks verloren 4:0 gegen das überlegene Team aus den USA, das damit den Cup nach Boston holte. Die Fans kehrten in Bars und Restaurants ein, oder nahmen den Zug oder Bus nach Hause. An der Großleinwand auf der Georgia Street kam es jedoch zu Kravallen, bei denen unzufriedene Fans aufgestellte Klohäuschen umwarfen. Der Eingang der Bank of Montreal wurde zertrümmert und Klohäuschen und Mülleinmer angezündet. Die Polizei versuchte, die Menschenmenge zu zerstreuen und sie mit Zäunen vom Geschehen fernzuhalten. Damit wurde der Schaden jedoch vergrößert, denn nun randalierten die oft völlig alkoholisierten Rowdies in den Nebenstrassen. Als die Nacht herein brach, nahm das Chaos zu. Fensterscheiben von Gebäuden wurden überall in der Innenstadt eingeschlagen, Zeitungskästen umgekippt, Auto umgeworfen und angezündet. Randalierer tanzten auf zwei eroberten Polizeiwagen, die sie später anzündeten. Auch in Parkhäusern gingen viele Pkw in Flammen auf. Schließlich setzte die Polizei Tränengas ein.

Berichten zufolge stürzte ein Mann vom Georgia Viaduct, ein anderer fiel aus dem dritten Stock. Die Polizei eilte zu einem Opfer mit Messerstichen in der Magengegend. Als es auf Mitternacht zuging, schien der Vollmond auf verwüstete Straßen, die an einen Kriegschauplatz aus dem Mittleren Osten erinnerten. Einsatztruppen sammelten sich immernoch in der Robson, Seymour, Richards und Georgia Street. Löschzüge der Feuerwehr eilten zu brennenden Autos. Vor allem Nobelkarossen waren das Ziel der verärgerten Menge. Immernoch hörte man das Knallen von Tränengasgranaten, und je nach Windrichtung konnte man schnell zum Opfer einer unsichtbaren CS-Wolke werden, die Nase und Mund wie Feuer brennen ließ und die Sicht nahm. Schaulustige füllten inzwischen die Straßen. Plünderer holten sich aus den zertrümmerten Autos, was die gebrauchen konnten, und machten stolz Fotos von einander. Dass Polizei und Feuerwehr nur 20m weiter mit brennenden Fahrzeugen zu kämpfen hatten, störte sie nicht. Immer wieder war “Fuck the Bruins” zu hören.

Doch nicht jeder war ein Täter. Die Kneipenbetreiber und Restaurantbesitzer waren von der Polizei aufgefordert worden, früher zu schließen und die Gäste nach Hause zu schicken. Man wollte soviele Leute wie möglich aus der Innenstadt bringen. Eine Busgesellschaft stellte aus Angst vor dem Verlust der Fahrzeuge den Busverkehr ein. Eine andere sah eine Werbegelegenheit und sprang ein. Skytrain funktionierte bis in die Nacht. Doch wer in der Innenstadt oder im Westend wohnt, der hatte Pech. Entweder war die Gegend um das Haus gesperrt, oder der Weg dorthin war voller Polizei und Tränengas. Wütende Menschen füllten die kleinen Nebenstraßen, ein Mädchen lag zusammengebrochen am Boden und heulte, ein zweites kümmerte sich um sie. Einbrecher erkannten ihre Chance. Während die Polizei in der Innenstadt beschäftigt war, kletterten sie über Baugerüste in unbewachte Gebäude.

Zur Stunde kreisen immernoch Hubschrauber über der Innenstadt. Das Internet voll mit Fotos und Sympathiebezeugungen für die eine oder andere Seite. Die Polizei hat um die Mithilfe bei der Suche nach den Tätern gebeten. Sie möchte Fotos von Straftaten und Namen von bekannten Personen. Auf Facebook wurde eine Seite eingerichtet, auf der jeder Täter per “Tag” identifizieren kann. Im Internet wurde noch in der Nacht die Nachricht verbreitet, dass 2000 Helfer freiwillig die Schäden in der Stadt beseitigen helfen wollen. Den Schaden am Image werden sie jedoch nicht so schnell reparieren können. Denn ob Vancouver offiziell weiterhin mit dem Slogan “Lebenswerteste Stadt der Welt” Immobilieninvestoren anziehen kann, ist nach einem solchen Ereignis fraglich.

2 comments to Stanley Cup 2011 – der Traum wird zum Albtraum

  • Daniel

    Wow, in Vancouver ging es voll ab. Danke für den Bericht. Auf Deutsch kriegt man ja sonst nicht soviel aus erster Hand. Super!

  • Frank

    Ja, danke für den guten Bericht. Habe sonst nix über diesen Schiet lesen können. Die Videos sind schockierend. “Unsere” demokratische Jugend; verroht und dumm. Zu viel Brot und Spiele. Und zu viele Freiheiten. Echt schlimm. Der Polizeistaat kommt damit nur um so sicherer…

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